Äthiopien Sidamo vs Yirgacheffe: Tassenprofile, Cupping und Kaufguide


Einordnung: Äthiopiens Kaffee-Regionen im Überblick

Äthiopien gilt als Wiege des Arabica-Kaffees – vielfältig, kleinparzelliert und aromatisch einzigartig. Unter den berühmtesten Herkunftsangaben stehen Sidamo (oft auch Sidama geschrieben) und Yirgacheffe. Während Sidamo eine großflächige Herkunftsbezeichnung für Kaffees aus dem südlichen Hochland ist, bezeichnet Yirgacheffe eine spezifische Zone im Gedeo-Gebiet, deren Kaffees traditionell für florale Klarheit und teeartige Eleganz geschätzt werden. In beiden Regionen wird überwiegend handgeernteter Äthiopien Arabica von Kleinbauern produziert, oft in agroforstwirtschaftlichen Systemen mit Schattenbäumen und hoher Biodiversität.

Für Specialty Coffee Enthusiasten sind diese Herkünfte Schlüsselbegriffe: Sidamo steht für Bandbreite und Vielfalt, Yirgacheffe für Präzision und Leichtigkeit in der Tasse. Beide sind ideale Ausgangspunkte, um das Spektrum äthiopischer Tassenprofile zu erkunden.

 

Sidamo vs. Yirgacheffe: Terroir, Höhenlagen, Mikroklimata

Die südäthiopischen Hochländer zeichnen sich durch kühle Nächte, milde Tage und lange Reifezeiten aus – ein Rezept für komplexe Geschmacksnoten. Sidamo deckt ein breites Spektrum an Dörfern, Höhen und Mikroklimata ab (ca. 1.500 bis 2.200 m). Yirgacheffe liegt typischerweise höher (ca. 1.800 bis 2.200+ m) und kühler, mit feiner Abstufung in Hängen, Tälern und Expositionen, was die charakteristische florale Signatur begünstigt.

 

Bodentypen, Niederschlag, Erntefenster

  • Böden: Vorwiegend tiefgründige, vulkanische Nitisole (rotbraun), reich an Mineralien, gute Drainage; oft lehmig–sandig mit hohem organischen Anteil.
  • Niederschlag: Rund 1.200–2.000 mm/Jahr, verteilt auf Haupt- und Nebenregenzeit; Yirgacheffe oft mit besonders gleichmäßiger Feuchteverteilung.
  • Erntefenster: Yirgacheffe ca. Oktober–Januar; Sidamo ca. November–Februar. Verschiffungen erfolgen meist ab Frühling; Ankünfte in Europa häufig April–August.
Äthiopien Sidamo Yirgacheffe Menschen trocknen Kaffeebohnen

Varietäten und Aufbereitung

Äthiopiens genetische Vielfalt ist ein Schatz: lokale Landrassen, selektierte Heirlooms und Forschungsselektionen prägen das Profil ebenso wie die Aufbereitung Kaffee.

 

Heirloom/Landrassen, Selektion, Lot-Transparenz

Oft werden Varietäten als "Ethiopian Heirloom" zusammengefasst – ein Sammelbegriff für zahlreiche lokale Genotypen. In Yirgacheffe sind beispielsweise Kurume (Kudhume), Dega und Wolisho verbreitet; aus Züchtungsprogrammen stammen u. a. JARC-Selektionen wie 74110 und 74112. Je transparenter ein Lot (z. B. konkrete Farm, Kooperative, Washing Station, Mikrolot-Nr.), desto konsistenter ist die Erwartung an die Tasse. Achte auf:

  • Lot-Details: Farm/Kooperative, Höhenlage, Varietätenliste, Erntedatum.
  • Qualitätsangaben: Gradierung (G1/G2 bei gewaschenen, G3/4 bei Naturals), Cup Score, Feuchte/Wasseraktivität.
  • Traceability: Vertragsmodell, Exporteur, ggf. Dry Mill-Informationen.

 

Washed, Natural, Honey, Anaerob: Einfluss auf die Tasse

  • Washed (gewaschen): Betonung von Klarheit, floralen und zitrischen Noten – klassisch für Yirgacheffe. Leicht bis mittel im Körper, hohe aromatische Definition.
  • Natural (sonnengetrocknet): Intensivere Frucht (Beeren, Steinfrucht), mehr Süße und Körper, mit Risiko für Fermentnoten, wenn nicht sauber verarbeitet. In Sidamo sehr verbreitet.
  • Honey: Mittlerer Weg – mehr Süße als washed, dennoch recht klar, je nach Mucilage-Anteil.
  • Anaerob/Carbonic: Experimentelle Profile (tropische Frucht, Gewürz), deutlich akzentuierte Süße/Körper; erfordert präzise Röst- und Brew-Adjustments.

"washed vs natural" ist in Äthiopien besonders prägend: Gleiche Herkunft, andere Aufbereitung – und die Tasse wirkt wie eine neue Kaffee-Persönlichkeit.

 

Yirgacheffe Sidamo Äthiopien Kaffeekirschen

Tassenprofile im Vergleich

Was macht Sidamo und Yirgacheffe sensorisch aus? Im Fokus stehen Feinheit der Säure, Art der Frucht, florale Ausprägung und die Klarheit.

 

Aroma und Duft

  • Yirgacheffe: Häufig Jasmin, Bergamotte, Zitronenblüte; teeartig-ätherisch. Gewaschen oft mit feiner Zitrus- und weißer Blütenaromatik; Naturals bringen gelegentlich Pfirsich/Aprikose und rote Beeren hinzu.
  • Sidamo: Breite Palette – von Zitrus und Steinfrucht (Aprikose, Pfirsich) über Beeren (Blaubeere, Erdbeere) bis zu Würze (Earl-Grey, Kardamom). Naturals laufen zur fruchtigen Hochform auf.

 

Säure, Süße, Körper

  • Yirgacheffe: Helle, präzise Säure (Zitrone, Limette), hohe Süße, leichter bis mittlerer Körper. Sehr klare Struktur, gerade bei gewaschenen Lots.
  • Sidamo: Säure von mittelhell bis saftig, je nach Mikroklima; oftmals vollere Süße und etwas mehr Körper, vor allem bei Natural/Honey-Profilen.

 

Nachgeschmack und Klarheit

  • Yirgacheffe: Langer, sauberer Finish mit floraler Persistenz; "teeartig" beschreibt die Textur treffend.
  • Sidamo: Langer Nachhall mit Fruchtkomponente; Naturals können cremig-samtig wirken, gewaschene Sidamos sind lebhaft und ausgewogen.

 

Cupping zu Hause: Schritt-für-Schritt

Ein strukturiertes Cupping hilft, Unterschiede greifbar zu machen – ideal, um Yirgacheffe und Sidamo direkt zu vergleichen.

 

Wasser, Ratio, Mahlgrad, Protokoll

  • Wasser: Zielwerte ca. 70–120 ppm Gesamthärte, 30–50 ppm Alkalinität. Gefiltertes oder aufbereitetes Wasser bevorzugen.
  • Ratio: SCA-Standard 8,25 g Kaffee auf 150 ml Wasser (ca. 55 g/L). Alternativ 60 g/L für etwas intensivere Bewertung.
  • Mahlgrad: Deutlich gröber als Filter, etwa mittel–grob (vergleichbar mit Kalita/V60 "groß").
  • Temperatur: 92–94 °C Aufgusstemperatur.
  1. Röstdatum prüfen; 5–14 Tage nach Röstung cuppen.
  2. 12 g pro Tasse mahlen, trockene Aromen riechen.
  3. Mit 200 ml Wasser aufgießen, 4 Minuten ziehen lassen.
  4. Kruste brechen, Duft bewerten, Schaum abheben.
  5. Ab 8–12 Minuten bei sinkender Temperatur mehrfach slurpen; Notizen zu Aroma, Säure, Süße, Körper, Balance, Nachgeschmack und Klarheit.

Tipp: Cuppen "blind" (Tassen markieren) verhindert Bias – erst am Ende aufdecken, welcher Kaffee "wer" ist.

 Kaffeefilter Vogelperspektive mit aufgegossenem Kaffeepulver

Brew-Tipps nach Profil (V60, Kalita, AeroPress, Espresso)

  • V60 (gewaschener Yirgacheffe): 15 g Kaffee, 250 g Wasser, 94 °C, 1:16,6. Bloom 30–40 s (2–3x Dose), dann 2–3 Pulse bis 2:30–3:00 min. Ziel: Klarheit, florale Top-Notes, lebendige Säure.
  • Kalita 155 (Natural Sidamo): 18 g, 270 g, 92–93 °C, 1:15. Bloom 30 s, sanfte Pulse. Etwas feiner mahlen als V60 für mehr Extraktionsgleichmäßigkeit; Ziel: Süße und Körper betonen, Frucht kontrollieren.
  • AeroPress (fruchtiger Natural): 15 g, 230 g, 92 °C, 2:00 min, feiner Filtermahlgrad, 1 Rückwärtsdreh, 30 s Press. Ergebnis: Saftige Frucht, runder Körper, milde Säure.
  • Espresso (Yirgacheffe washed): 18 g in, 45–54 g out (1:2,5–1:3), 27–34 s, 92–93 °C. Fein genug für Klarheit, nicht "choked". Erwartung: florale, zitrische Eleganz statt Schokolade.

Feintuning: Hellere Röstungen brauchen meist etwas höhere Wassertemperaturen, längere Kontaktzeit oder minimal feinere Mahlgrade. Naturals profitieren von moderater Extraktion, um überreife Fermentnoten zu vermeiden.

 

Kaufberatung: Qualitätsmetriken, Preis-Leistung, Röstempfehlungen

  • Qualitätssignale: Cup Score (z. B. 85–90+), Gradierung (G1/G2), Feuchte 10–12 %, Wasseraktivität ca. 0,45–0,60. Saubere, eindeutige Herkunftsangaben sind ein Plus.
  • Preis-Leistung: Yirgacheffe G1 washed ist oft teurer als Sidamo G2, bietet dafür florale Finesse. Sidamo Naturals liefern häufig spektakuläre Frucht zu moderaten Preisen – ein "Wow"-Erlebnis für Einsteiger.
  • Röstprofile: Für Filterkaffee helle bis mittlere Röstung; für Espresso helle bis mittlere Röstung mit etwas mehr Entwicklungszeit für Textur. Yirgacheffe washed nicht "tot" rösten – die Magie liegt in der Klarheit.
  • Vertrauen: Röster, die Röst- und Brew-Notizen, Varietäten und Lot-Infos transparent teilen, sind die besten Partner für Specialty Coffee.

 

Saisonalität und Frische: Importfenster, Resting, Haltbarkeit

Erntefenster in Äthiopien liegen meist zwischen November und Februar, mit Ankünften in Europa zwischen April und August. Direkt nach Ankunft sind Kaffees besonders lebendig. Rohkaffee ruht idealerweise kurz ("resting"), bevor er geröstet wird; gerösteter Kaffee profitiert ebenfalls von einer Ruhezeit.

  • Röstdatum: Für Filter meist 3–10 Tage "Resting", für Espresso 7–21 Tage – je nach Röstgrad und Dichte.
  • Haltbarkeit: Aromaspitzen in den ersten 6–8 Wochen; gefriergeeignete Portionierung kann die Frische Monate konservieren.
  • Lagerung: Kühl, trocken, dunkel; luftdichte Ventilbeutel, Sauerstoff- und Feuchteeintrag minimieren.

 

Häufige Fehler und Troubleshooting

  • Zuwenig Klarheit im Yirgacheffe: Prüfe Wasser (zu hart?), mahle feiner, erhöhe Temperatur, reduziere Turbulenz beim Pour-over.
  • Überreife/fermentige Note im Natural Sidamo: Grober mahlen, Temperatur senken, Brew Ratio auf 1:16–1:17 erhöhen; frischer Filter wechseln, Flow kontrollieren.
  • Flache Tasse: Dosis leicht erhöhen, insgesamt etwas länger extrahieren, aber nicht über 3:30 min (Filter) hinaus.
  • Espresso zu sauer: Länger extrahieren (höheres Beverage Weight), minimal feiner mahlen, Brühtemperatur anheben.
  • Bitternoten: Kürzer extrahieren, etwas gröber mahlen, heißes Wasser nicht über 96 °C, gleichmäßige Bettgeometrie sicherstellen.

 

Fazit: Welche Wahl passt zu deinem Geschmack?

Wenn du florale, teeartige Klarheit mit zitrischer Helligkeit suchst, führt an Yirgacheffe – besonders als gewaschenes Lot – kaum ein Weg vorbei. Möchtest du saftige Frucht, mehr Süße und Textur, liefert Sidamo (gerne als Natural oder Honey) eine große stilistische Bandbreite. Am besten: zwei kleine Beutel besorgen, nebeneinander cuppen und mit identischen Brew-Parametern testen. So lernst du, wie Terroir und Aufbereitung die Tasse formen – und findest deinen Sweet Spot.

FAQ - Äthiopien Sidamo vs Yirgacheffe

Woran erkenne ich ein typisches Yirgacheffe-Tassenprofil?

Häufig florale, teeartige Noten (Jasmin, Bergamotte), hohe Klarheit, helle Zitrus- oder Steinfrucht-Säure und leichter bis mittlerer Körper – besonders bei gewaschenen Lots.

Welche Aufbereitung passt besser für Filterkaffee?

Gewaschen (washed) liefert meist höhere Klarheit und definierte Säure – ideal für V60/Kalita. Naturals bieten mehr Körper und intensive Frucht, funktionieren gut mit moderater Extraktion.

Kann ich Yirgacheffe als Espresso beziehen?

Ja, mit leichter bis mittlerer Röstung, feinerem Mahlgrad und höherer Brew-Ratio (z. B. 1:2,5–1:3) für Klarheit. Erwartet helle Säure und floral-zitrische Nuancen statt klassischer Schoko-Noten.

Wann ist die beste Zeit, frische Äthiopien-Lots zu kaufen?

Ernten fallen meist auf November bis Februar, Ankünfte in Europa oft auf April bis August. Direkt nach Ankunft und nach kurzer Ruhephase (Resting) ist die Frische am höchsten; achtet auf Erntejahr und Röstdatum.